Hier:
Auszüge aus einem Ergänzungs-Gutachten vor einem Brandenburgischen Landgericht in einem selbständigen Beweisverfahren im Jahr 2013 – es wurde bewusst auf Verfahrens-Details verzichtet, die Textstellen sind aber 1:1 dem Gutachten entnommen.
Die Fragestellungen (vom Anwalt der Antragsgegner formuliert) zeigen den Wissensdurst und die Hartnäckigkeit einiger Anwälte, die es dem Sachverständigen nicht immer ermöglichen, die gewünschte Aufklärung / Erklärung tatsächlich zu leisten – es gibt aber oft auch Fragen, die keiner sachverständigen Erläuterung bedürfen...
Unangenehm wird es für den Sachverständigen dann, wenn er sich fachlich angreifbar gemacht hat, was natürlich schnell passieren könnte, sobald er im Gutachten oberflächlich vorgegangen sein sollte.
Auszüge aus dem Ergänzungs-Gutachten:
Frage 2
Nach welchem Maßstab sollen die vorhandenen Toleranzen den Gesamteindruck nicht negativ beeinflussen?
Für die Antragstellerin ist der Gesamteindruck erheblich gestört.
Antwort:
Das ästhetische Empfinden ist sehr differenziert – einheitliche Vorgaben oder gar Regelwerke gibt es hierzu nicht. Das was der Durchschnitts-Bürger als nicht störend empfindet, gilt als ästhetisch hinnehmbar. Dieser Bereich ist nicht genormt. Es gehört zum Alltag des Fliesenlegers, durch eigene Entscheidungen im Zuge von Belagsaufteilungen, Schönes zu erschaffen. Die Beschaffenheit und Kubatur von Bauwerken kann hier Probleme bereiten, die jede Firma individuell zu lösen hat. Sofern nicht zwingend (vertraglich) ein bestimmter Soll-Zustand abgefordert wird, der die subjektive Erwartung des Bauherrn eindeutig beschreibt, leistet der Fliesenleger nach handwerklichen Grundsätzen, die ein Sachverständiger des entsprechenden Gewerkes würdigen oder ablehnen kann.
Im konkreten Bauvorhaben kam der Sachverständige zu der Überzeugung, dass der Gesamteindruck keinesfalls gestört oder gar erheblich gestört wäre, dass hierzu subjektiv eine andere Position bezogen werden kann, liegt in der Natur der Sache – kann aber nicht der alleinige Maßstab sein.
Frage 3
Sind durch die Antragstellerin die genauen Bezugspunkte, sowohl an den Wänden als auch am Rand zum Atrium zu den Trittstufen berücksichtigt worden und warum geht der Sachverständige hier nicht eindeutig von einem Verlegefehler und einer ästhetischen Beeinträchtigung aus?
Antwort:
Eine solche Prüfung wurde als nicht notwendig erachtet, da keine Umstände festgestellt wurden, die den Sachverständigen veranlasst haben, hier von einer ästhetischen Störung auszugehen. Das alleinige Vorliegen einer nominellen Abweichung von einem Idealzustand stellt keinesfalls ein Versäumnis oder eine fehlerhafte Leistung dar. Hierfür bedarf es im Regelfall eines eindeutig störend wirkenden Zustandes, der hier so nicht festgestellt wurde.
Im Übrigen wurden keine Schieflagen von Trittstufen im Treppenlauf festgestellt, beim Peilen verschiedener Fluchten und Parallelitäten im Treppenlauf (vgl. Bildteil des Gutachtens) ließen sich keine unästhetischen Zustände feststellen.
Frage 6
Warum zeigt dann das Material Ghibly – auch so hergestellt – keine Störungen in der Oberfläche auf?
Die Antragsgegnerin hatte einheitliches Material gewünscht.
Antwort:
Warum zwischen 2 Natursteinen Differenzen nach einer mechanischen Oberflächenbearbeitung auftreten, liegt in der Natur der Steine – daher der Name.
Jeder Naturstein besitzt gegenüber einem anderen (selbst ähnlichen) auch abweichende Eigenschaften, so ist der Ghibly ein Gneis (metamorphes Gestein) aus Indien, ähnlich den bekannten Naturstein-Marken Shivakashi und Juparana. China Black ist einer (von vielen) der Trivialnamen für Basalt (Tiefengestein) aus China – China Black ist nicht genau definiert, eher bekannt als G684, seltener petrologisch ein Gabbro (auch Tiefengestein), der chemisch resistenter ist.
Wenn für die Oberfläche “leather finish“ durch Flammen (offenes Feuer) und Bürsten (mechanische Abrieb) Basalt und Gneis als Ausgangsmaterial vorliegt, so ist kein einheitliches (wie immer man das definieren wollte) Erscheinungsbild zu erwarten – allenfalls der “antike“ Eindruck beider Oberflächen.
Frage 12
Aufgrund welcher Vergleichsmaßstäbe kommt der Sachverständige zu dem Schluss, dass im Bereich der Eingangstür die Proportionen nicht gestört sein sollen?
Antwort:
Aufgrund seiner realen Möglichkeiten, die eigene planerische Tätigkeit, die eigene Firmentätigkeit als Fliesenlegerfachbetrieb und die (auch aktuell) eigene gewerbliche handwerkliche Ausführung mit einer seit über 18 Jahren währenden Sachverständigentätigkeit in diesem Gewerk zu vereinen, wodurch der Eindruck erweckt wird, dass eine besondere Eignung zur objektiven Einschätzung solcher Sachverhalte vorliegen könnte.
Es liegt in der Natur der Sache, dass man eigene subjektive Wahrnehmungen höher bewertet, als eine neutrale Person, die zudem der Objektivität verpflichtet ist; deshalb erscheinen Sachverständige (höchstens) einer der Parteien als “tendenziell“ ...
Im Umkehrschluss gäbe es für den Sachverständigen keine Argumentationsgrundlage für eine behauptete gestörte Proportion im Eingangsbereich, selbst wenn sie rechnerisch vorliegen sollte.
Frage 17
Besteht nach dem Stand der Technik eine handwerkliche Pflicht der Antragstellerin, mangelhafte Ware auszusortieren?
Antwort:
Die Pflicht besteht aus reinen Gründen des Selbstschutzes. Mit einer technischen Regel oder dem Stand der Technik hat dies überhaupt nichts zu tun.
Die Logik gebietet es, ein Werk so abzuliefern (und herzustellen), dass Gründe, die einer Abnahmereife entgegenstehen könnten, vermieden oder ausgeschaltet werden.
Sofern tatsächlich ein Materialmangel vorliegt, wäre das mangelhafte Material auszusortieren.
Wer also eine masochistische Ader hat, wird sich dieser Logik widersetzen.
Frage 18
Besteht nach dem Stand der Technik eine handwerkliche Pflicht des Fliesenlegers zur Abstimmung dieser asymmetrischen Verlegeweise?
Antwort:
Mit asymmetrischer Verlegeweise wird offensichtlich der Hell-Dunkel-Effekt in der Fläche gemeint sein.
Was dies betrifft, so ist die Art des Mischens völlig in Ordnung, sofern die Materiallieferung sich tatsächlich im Rahmen der bemusterten Bandbreite bewegt. Das scheint bisher nicht derart geklärt zu sein, wie es wünschenswert wäre und offenbar resultiert hieraus auch die Energie, die zur Erarbeitung dieses Fragenkataloges erforderlich war.
Die Abstimmung dieser Verlegeweise wurde bisher als Tatsache angenommen, anders hätte sich der Bauablauf neben den Geschäftsräumen der Antragsgegnerin mit diesem Ergebnis nicht erklären lassen. Die Frage stellt sich nach der Alternative!
Nach den handwerklichen Grundsätzen ist diese Verlegung in ihrer “Wildheit“ durchaus legitim. Wenn allerdings nur ein heller oder ein dunkler Stein als Muster galt, so stellt sich die Frage nach der Bandbreite der Bemusterung. Ziel einer Bemusterung ist gerade im Natursteinbereich die Vorab-Aufklärung der Bauherren über Besonderheiten des Materials.
Wenn also hier Versäumnisse erfolgten, so war die Materiallieferung bereits zu Beginn der Verlegung eine Abweichung vom vertraglichen Soll-Zustand. Das wiederum hätte zwingend in einer Abstimmung mit dem Bauherrn direkt (und nicht mit einem Vertreter) geklärt werden müssen. Der tatsächliche Ablauf der Bemusterung und die vertragliche Regelung kann seitens des Sachverständigen nicht nachgeprüft werden.
Wie eingangs erwähnt, wurde jedoch seitens des Sachverständigen vorausgesetzt, dass es im Zuge der Baumaßnahme eine Toleranz der Hell-Dunkel-Lieferung gab, andernfalls hätte die Verarbeitung (das ist regelmäßige Praxis) durch den Bauherrn oder seine Vertreter unterbunden werden sollen (müssen?).
Das Rügen dieses Zustandes nach Fertigstellung darf als praxisfremd und völlig untypisch bezeichnet werden, es sei denn, keiner der Bauherren oder seiner Vertreter waren während der Bauausführung auf der Baustelle.